Datierungsdilemma

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

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Reinhard Wien
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Datierungsdilemma

Beitrag von Reinhard Wien » Do 16.05.24 14:42

Habe einen durchaus gängigen Denar des Mn. Fonteius. Avers: Köpfe der Dioskuren n. rechts; Revers: Galeere.
Vgl.: P. Bab. (Fonteia) 7; Sydenham 566; Crawford 307/1b.

In allen Standardwerken wird diese Ausgabe mit 108/7 vor Christus datiert, natürlich ist diese Datierung auch in jedem Auktionskatalog so zu finden.

Auf der Seite des Digitalen Münzkabinett des Instituts für Numismatik und Geldgeschichte beruft man sich jedoch auf Mattingly und datiert mit 104 v. Chr.

https://ikmk-ing.univie.ac.at/object?id=ID172

Dazu kommt, dass Harold Mattingly bereits 1964 verstarb.

Wonach orientiert man sich da jetzt am besten? Kann mir da jemand weiterhelfen?
Omnia Romae cum pretio. (Iuv. 3,183f.)

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Zwerg
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Re: Datierungsdilemma

Beitrag von Zwerg » Do 16.05.24 16:34

Da gibt es mehrere Probleme

Literatur:
Es gibt drei Mattinglys
Harold Mattingly, gestorben 1964 - https://en.wikipedia.org/wiki/Harold_Mattingly
dessen Sohn Harold B. Mattingly, gestorben 2015 - https://en.wikipedia.org/wiki/Harold_B._Mattingly
und Enkel David Mattingly, aktuell lebend - https://en.wikipedia.org/wiki/David_Mat ... aeologist)

Ein Literaturverzeichnis finde ich auf der Webseite nicht, kann mit diesem Eintrag
Literatur
BMCRR I, Rome 1210; Craw., 307/1d; Mattingly 1998, S. 154 (Datierung)
auch nichts anfangen (in Bezug auf Mattingly), wenn ein wenig Google nicht helfen würde
https://livyarrow.org/wp-content/upload ... alogue.pdf
Dort suchen nach 1998. Eine weitere Websuche wird auch den Artikel finden

Standardwerk
In diesen zwei Seiten wir auch deutlich, daß ein Standardwerk immer nur den Standard zur Zeit der Publikation wiedergibt - und hier auch nur den Standpunkt des Autors. Crawford (immer noch Standard) erschien 1974 - damit bin ich numismatisch groß geworden, kenne aber auch die ganzen Datierungsdiskussionen der Jahrzehnte vorher. Diese waren gewaltig!

Seit 1974 hat sich natürlich einiges getan. Jedoch wird der geneigte normale Sammler die wissenschaftliche Diskussion kaum verfolgen können.
Zugang zu einer numismatischen Bibliothek inklusive Fernleihe ist unabdingbar - Internet reicht nicht!

Zu Deiner Frage: Orientiere Dich am zuletzt publizierten Standardwerk - alles Weitere ist Spaß an der Freude

Grüße
Klaus
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Re: Datierungsdilemma

Beitrag von Altamura2 » Do 16.05.24 21:28

Zwerg hat geschrieben:
Do 16.05.24 16:34
... Zu Deiner Frage: Orientiere Dich am zuletzt publizierten Standardwerk - alles Weitere ist Spaß an der Freude ...
Es gibt da eine Diplomarbeit von Hubert Nademleinsky, in der man gleich auf Seite 9 den folgenden Satz lesen kann:
"Bei der Datierung der römischen Münzen wird, wenn nicht anders angegeben, für den Zeitraum bis 150 v. Chr. und nach 90 v. Chr. der Chronologie von Crawford gefolgt, für die dazwischenliegende Periode der von Mattingly überarbeiteten Chronologie." (https://phaidra.univie.ac.at/download/o:1302547)

Verwiesen wird dann bei Mattingly auf H. B. Mattingly, "Roman Republican Coinage c. 150-90 BC", in A. Burnett u.a., "Coins of Macedonia and Rome: Essays in Honour of Charles Hersh", London 1998, S. 151-164.

Da hat also wohl Harold B. Mattingly 1998 eine vom Crawford abweichende Chronologie für diese Zeitspanne veröffentlicht :D .
Das könnte man sich dann via Fernleihe oder subito e.V. besorgen.

Gruß

Altamura

Edit: Link korrigiert, der war Stuss :| .
-
Zuletzt geändert von Altamura2 am Do 16.05.24 21:48, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Datierungsdilemma

Beitrag von Perinawa » Do 16.05.24 21:41

Ich gebe zu, dass ich mich bei den Republikanern nach wie vor am Crawford orientiere. Abgesehen natürlich die Jahre 50/49 - 42 v.Chr., für die es zum Glück den Woytek gibt. Rainer Albert hat diese beiden mW auch übernommen - leider mit einigen Fehlern, nur den Mattingly hat er anscheinend überhaupt nicht berücksichtigt.
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Re: Datierungsdilemma

Beitrag von Zwerg » Do 16.05.24 21:55

Auch in der Frühzeit der Denarprägung hat sich Einiges getan (Debernardi, McCabe und andere) Die Romano-campanischen Prägungen werden diskutiert, die Quadrigati sind immer noch ein wenig geheimnisvoll. Ich bin froh, daß ich dank Academia wenigsten ein wenig mitbekomme.
Und dann kann ich auch den Blog von Liv Yarrow empfehlen.
https://livyarrow.org/

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Re: Datierungsdilemma

Beitrag von Perinawa » Do 16.05.24 22:08

Allein die anonymen Denar- und Quinarprägungen ist eine Wissenschaft für sich; da fange ich mit den Quadrigaten & Bigaten erst gar nicht an. Mein Fokus bleibt bei den Jahren 49 - 42 v.Chr. und dann noch die ein und die anderen historisch bedeutenden Stücke der Republik. Lieber von wenigem etwas genaues als von vielem etwas.
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Re: Datierungsdilemma

Beitrag von Zwerg » Do 16.05.24 22:23

Ein wenig Off-Topic zu der Festschrift für Charles Hersh, die ich (Schande über mein Haupt) nicht gefunden hatte.
Charlie Hersh hat mich dereinst auf Long Island zu einem ausgezeichneten Hummer-Essen eingeladen (als arme wissenschaftliche Hilfskraft).
Es war ein unvergesslicher Abend mit ganz vielen Geschichten aus einem Numismatker-Leben.

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Re: Datierungsdilemma

Beitrag von Reinhard Wien » Fr 17.05.24 11:27

Altamura2 hat geschrieben:
Do 16.05.24 21:28
(...) Diplomarbeit von Hubert Nademleinsky, in der man gleich auf Seite 9 den folgenden Satz lesen kann:
"Bei der Datierung der römischen Münzen wird, wenn nicht anders angegeben, für den Zeitraum bis 150 v. Chr. und nach 90 v. Chr. der Chronologie von Crawford gefolgt, für die dazwischenliegende Periode der von Mattingly überarbeiteten Chronologie." (https://phaidra.univie.ac.at/download/o:1302547)

Verwiesen wird dann bei Mattingly auf H. B. Mattingly, "Roman Republican Coinage c. 150-90 BC", in A. Burnett u.a., "Coins of Macedonia and Rome: Essays in Honour of Charles Hersh", London 1998, S. 151-164.

Da hat also wohl Harold B. Mattingly 1998 eine vom Crawford abweichende Chronologie für diese Zeitspanne veröffentlicht.

Gruß

Altamura
Vielen Dank. Das beantwortet meine Frage punktgenau. :)

Demnach wird auch offenkundig, warum selbst große Auktionshäuser wider besseren Wissens, weiter an der sich über Jahrzehnte eingebürgerten und aufgrund neuerer Forschungsergebnisse widerlegten Falschdatierung festhalten. Auch hier ist keineswegs gesichert, dass es nicht neuerlich bald andere Erkenntnisse geben kann.

Was bei einem Wildwuchs an unterschiedlichsten "Glaubensrichtungen" und Neudatierungen, die in regelmäßigen Abständen zum Teil wieder verworfen werden, herauskommt, sieht man sehr gut an der Frage zu Anfang und Ende der einzelnen ägyptischen Dynastien bzw. den Lebensdaten der königlichen Protagonisten. :?

Wenn man es genau nehmen möchte, müsste bekanntlich der Beginn unserer westlichen Zeitrechnung um 4-7 Jahre rückdatiert werden (zumindest nach dem aktuellen Stand der Forschung). Hat durchaus seine Berechtigung, es nicht zu tun.
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Re: Datierungsdilemma

Beitrag von Perinawa » Fr 17.05.24 13:36

Bei den Republikanern sind Datierungen - das gilt insbesondere für Friedens- oder sonstige "ereignislose" Zeiten, schwierig bis unmöglich. Neue Erkenntnisse erschliessen sich höchstens aus Fundmünzen, insbes. natürlich Hortfunde. Da ist auch Mattingly & Co. sicher nicht der Weisheit letzter Schluss.

Ich finde es bei diesen Stücken aber auch nicht besonders tragisch, wenn das Prägejahr nicht genau bestimmt werden kann.
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