Narkose gestern, heute - und morgen?

Alles was nichts mit Münzen zu tun hat

Moderator: Locnar

Antworten
Benutzeravatar
Peter43
Beiträge: 13031
Registriert: Mi 11.08.04 02:01
Wohnort: Arae Flaviae, Agri Decumates
Hat sich bedankt: 205 Mal
Danksagung erhalten: 1919 Mal
Kontaktdaten:

Narkose gestern, heute - und morgen?

Beitrag von Peter43 » Sa 21.12.13 22:16

Heute halte ich eines der ersten Bücher von Jürgen Stoffregen "Narkose gestern, heute - und morgen?" in der Hand.

Prof Stoffregen, mein alter Chef an der Uni Göttingen und einer der Pioniere der Anästhesie, legt eine kritische Rückschau vor über insgesamt 60 Jahre Anästhesie in Deutschland. Ich bin stolz, daß ich daran mitarbeiten konnte, weil Stoffregens Vorstellungen mit meinen übereinstimmten. Deshalb gibt es darin ein Kapitel mit meinen Ideen und meiner Kritik am heutigen Medizinbetrieb. Es ist ein immens wichtiges Buch und gehört in die Hand jedes Anästhesisten. Aber unsere Ideen sind auch übertragbar auf andere operative Fächer. Das Buch ist sehr(!) kritisch und persönlich. Es werden auch Namen genannt. Deshalb gab es Schwierigkeiten, dieses Buch bei einem der großen Verlage unterzubringen, wohin es eigentlich gehört, weil die Angst hatten vor den Reaktionen der kritisierten Großfirmen. Stoffregen überblickt 60 Jahre deutscher Medizingeschichte. Da die deutsche Anästhesie erst 1953 begann, ist es also die Darstellung der gesamten deutschen Anästhesiegeschichte. Ich selbst bin seit 1971 Anästhesist, Intensivmediziner und Notarzt gewesen. Das sind heute auch immerhin über 40 Jahre. Ich kann dieses Buch nur jedem an der operativen Medizin Interessierten wärmstens an Herz legen!

DCS-Verlag, ISBN 978-3-940140-94-4, €59.90.

Jochen
Omnes vulnerant, ultima necat.

Benutzeravatar
Zwerg
Beiträge: 6412
Registriert: Fr 28.11.03 23:49
Wohnort: Wuppertal
Hat sich bedankt: 304 Mal
Danksagung erhalten: 1330 Mal

Re: Narkose gestern, heute - und morgen?

Beitrag von Zwerg » So 22.12.13 00:05

So um 1960 wurden mir die Mandeln entfernt (das war seinerzeit flächendeckelnd).
Mir wurde eine kleine Maske aufgesetzt und ich sollte bis 10 zählen, ich hab das auf Englisch gemacht und war ganz stolz.
Das Aufwachen war eine Katastrophe, ich habe mich - auch im Nachhinein - mehr als beschissen gefühlt.

Auf jeden Fall habe ich jetzt einen guten Ansprechpartner

Netten Abend
Zwerg
ΒIOΣ ΑΝЄΟΡΤAΣΤΟΣ ΜΑΚΡΗ ΟΔΟΣ ΑΠΑNΔΟKEYTOΣ
Ein Leben ohne Feste ist ein langer Weg ohne Gasthäuser (Demokrit)

Altamura2
Beiträge: 5253
Registriert: So 10.06.12 20:08
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 1094 Mal

Re: Narkose gestern, heute - und morgen?

Beitrag von Altamura2 » So 22.12.13 17:35

Peter43 hat geschrieben:... Da die deutsche Anästhesie erst 1953 begann, ...
Echt 8O ? Und was hat man da davor gemacht? Holzhammer? Schnaps? :wink:

1953 gab es in Deutschland den ersten Facharzt für Anästhesie (http://de.wikipedia.org/wiki/An%C3%A4st ... higen_Raum), betäubt wurde vorher ja wohl auch schon. Und dass es ein bisschen dauert, bis die Ausbildungssysteme den Realitäten angepasst werden, ist ja nichts Ungewöhnliches :? .

Gruß

Altamura

Benutzeravatar
Peter43
Beiträge: 13031
Registriert: Mi 11.08.04 02:01
Wohnort: Arae Flaviae, Agri Decumates
Hat sich bedankt: 205 Mal
Danksagung erhalten: 1919 Mal
Kontaktdaten:

Re: Narkose gestern, heute - und morgen?

Beitrag von Peter43 » So 22.12.13 21:20

Altamura2 hat geschrieben:Und was hat man da davor gemacht? Holzhammer? Schnaps?
Noch viel schlimmer: mit Chloroform! Einem tödlichen Gift, durch das allein in England zwischen 1846 (Jahr der Einführung) und 1914 40.000(!) Patienten auf dem Op-Tisch gestorben sind. Das war der Grund, aus dem eine sensible Natur wie Carl Ludwig Schleich die Infiltrationsanästhesie entwickelte, weshalb er dann endlich aus der Deutschen Chirurgischen Gesellschaft ausgeschlossen wurde. Chloroform wurde in Deutschland noch bis in die 50er Jahre verwendet!
Altamura2 hat geschrieben:Und dass es ein bisschen dauert, bis die Ausbildungssysteme den Realitäten angepasst werden, ist ja nichts Ungewöhnliches :? .
Ein bißchen dauert, ist gut! In England gab es Fachärzte für Anästhesie bereits seit 1900. Als die Amerikaner 1945 in Heidelberg einmarschiert waren und ihre verletzten Soldaten in den berühmten Universitätskliniken operieren lassen wollten, waren sie entsetzt, als sie hörten, daß es dort keine Anästhesisten gab.

Vor 1953 gab es keine deutsche Anästhesie, sondern die Narkosen wurden von Chirurgen gemacht, in der Regel von denen, die zum Operieren zu ungeschickt waren. Das waren Narkotiseure, aber keine Anästhesisten! Insbesondere haben Sauerbruch und dann zuletzt K.H.Bauer eine unheilvolle Rolle gespielt. Von K.H.Bauer ist der Kommentar zur Gründung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (mit Hilfe der Östereichischen Gesellschaft für Anästhesie und gegen den Willen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie) überliefert: "Das ist der Untergang der deutschen Chirurgie!". Auch die ersten Ordinarien für Anästhesie, wie z.B. Rudolf Frey in Mainz und andere, waren ursprünglich Chirurgen und von ihnen ihr Leben lang abhängig. Der erste Mediziner, der sich in Anästhesiologie habilitiert hat, war Jürgen Stoffregen. Und erst durch ihn kam der Durchbruch, daß nämlich der Anästhesist nicht der Assistent oder gar Diener des Chirurgen ist, sondern unabhängig von ihm - und wenn es sein muß auch gegen ihn - der Anwalt des Patienten!

Lies dazu auch von Hans Killian, Im Kampf gegen den Schmerz- Mein Abenteuer mit der Narkose! Prof.Killian - bekannt auch durch die Serie "Hinter uns steht nur der Herrgott" - hielt Ende der 20er Jahre einen Habilitationsvortrag über Narkosenrisiken, wurde aber dann aber von Sauerbruch abgeschmettert mit den Worten (aus meiner Erinnerung!): " Wenn er besser aufgepaßt hätte, als er ihm die korrekte Haltung der Narkosemaske erklärt hatte, dann hätte es nicht solcher überflüssiger Untersuchungen gebraucht!"

Und: 1979 war ich der 1. Anästhesist in unserem Krankenhaus. Vorher wurden die Narkosen von Schwestern gemacht, die durch den Chirurgen angelernt worden waren.

Mit freundlichem Gruß
Omnes vulnerant, ultima necat.

Benutzeravatar
Marcus Aurelius
Beiträge: 913
Registriert: So 07.10.12 11:16
Wohnort: Region Stuttgart, Portus Cale
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 1 Mal

Re: Narkose gestern, heute - und morgen?

Beitrag von Marcus Aurelius » Mo 23.12.13 12:39

Da erinnere ich mich mit Grauen an meine erste Narkose im Alter von 9 Jahren im Jahr 1983. Damals wurde ich für eine " simple" Mandel-OP für volle 10 Std. ins Reich der Träume geschickt. Die OP selbst hat vermutlich nicht mehr als 20-30 min. gedauert :( wenn man bedenkt was in dieser Richtung in den vergangenen 30 Jahren passiert ist, kann man sich heute entspannt vor jeder OP zurücklehnen.

Gruß

Marcus Aurelius
De gustibus non est disputandum.
Dives qui sapiens est ! (Horaz)

Benutzeravatar
richard55-47
Beiträge: 5110
Registriert: Mo 12.01.04 18:25
Wohnort: Düren
Hat sich bedankt: 5 Mal
Danksagung erhalten: 414 Mal

Re: Narkose gestern, heute - und morgen?

Beitrag von richard55-47 » Di 14.01.14 19:37

Meine Mandelresektion habe ich im zarten Alter von 32 Jahren erlitten. Dummerweise hatte ich zugestimmt, gleichzeitig die Nasenscheidewand richten zu lassen. Letzteres war, was ich erst nachher erfuhr, ein (das) Hobby des Chirurgen, des Herrn Prof. Dr. B. :roll: . Um 7.00 Uhr Narkose. Als ich aufwachte wurde es wieder dunkel, so lange hatte ich zum Wachwerden benötigt. Zwei Stöpsel in der Nase und höllische Schmerzen im Hals behinderten die Atmung. Ich glaube, ich habe damals verdammt viel graue Zellen infolge Unterversorgung mit Sauerstoff verloren.
do ut des.

silbermichel
Beiträge: 148
Registriert: So 13.10.13 19:52
Hat sich bedankt: 0
Danksagung erhalten: 2 Mal

Re: Narkose gestern, heute - und morgen?

Beitrag von silbermichel » Di 14.01.14 19:47

Bei meiner Nasennebelhöhlen-OP wurde ich um 7 Uhr abgeschossen und um 11.30 Uhr war ich wieder wach. Naja, mehr oder weniger.... :mrgreen: Das war 1995. Ein Bekannter mit der gleichen OP war nach 2 Stunden wieder wach, das war letztes Jahr.
Dieser Bereich entwickelt sich halt ebenso weiter wie der Rest der Medizin/Forschung. Nur das Betäubungsmittel beim Zahnarzt schmeckt noch genau so eckelig wie früher. :lol:

Chippi
Beiträge: 5826
Registriert: Do 23.06.05 19:58
Wohnort: Bitterfeld-Wolfen, OT Holzweißig
Hat sich bedankt: 4931 Mal
Danksagung erhalten: 2121 Mal

Re: Narkose gestern, heute - und morgen?

Beitrag von Chippi » Di 14.01.14 22:20

Wird das nicht gespritzt? Meine Mandeln und was da noch so hängt, habe ich seit dem Kleinkindalter nicht mehr, ergo auch keinerlei Erinnerung. Ob die OP Schäden hinterlassen haben, ist nicht mehr rauszufinden, niemand weiß mehr, wie ich vorher war... :mrgreen: :drinking: :lol: :roll:

Gruß Chippi
Wurzel hat geschrieben:@ Chippi: Wirklich gute Arbeit! Hiermit wirst du zum Byzantiner ehrenhalber ernannt! ;-)
Münz-Goofy hat geschrieben: Hallo Chippi, wenn du... kannst, wirst Du zusätzlich zum "Ottomanen ehrenhalber" ernannt.

Benutzeravatar
Peter43
Beiträge: 13031
Registriert: Mi 11.08.04 02:01
Wohnort: Arae Flaviae, Agri Decumates
Hat sich bedankt: 205 Mal
Danksagung erhalten: 1919 Mal
Kontaktdaten:

Re: Narkose gestern, heute - und morgen?

Beitrag von Peter43 » So 19.01.14 23:32

Narkose ist ein komplexer Vorgang aus Bewußtlosigkeit, Schmerzlosigkeit und Muskelerschlaffung. Früher hat man diese Aufgaben mit einem einzigen Medikament erfüllt. Dazu mußte das Narkosemittel sehr hoch dosiert werden, sodaß man in den toxischen Bereich kam. Heute wird für jede Aufgabe ein eigenes Medikament verwendet. Dadurch erreicht man, daß diese Medikamente sehr niedrig dosiert und damit die lebenswichtigen physiologischen Funktionen stabil gehalten werden können. Diese Methode ist bekannt unter dem Namen "balanced anaesthesia" und war ein Wunschtraum der Ärzte seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Mit freundlichem Gruß
Omnes vulnerant, ultima necat.

Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast