Lykurgos und die Nymphe Ambrosia
Liebe Freunde der antiken Mythologie!
Die botanische Saison, in der ich als ehrenamtlicher Kartierer für das Naturkundemuseum Stuttgart fast täglich durch Wiesen und Wälder gestreift bin, um neue Pflanzen zu entdecken, neigt sich dem Ende zu. Nun habe ich wieder mehr Zeit, mich um die Numismatik und die antike Mythologie zu kümmern.
Und endlich habe ich auch eine Münze gefunden, die es wert ist, hier vorgestellt zu werden. Ihre Erhaltung ist zwar suboptimal, aber dafür gehört sie zu den selteneren.
Die Münze:
Syrien, Coele-Syria, Damascus, Trebonianus Gallus, 252-253
AE 25, 9.20g
Av.: [IMP C] VIB TREB GA[LLO AVG]
Büste, drapiert und cürassiert, von hinten gesehen, belorbeert, n. r.
Rv.: COL ΔAMA CO METRO
Die Nymphe Ambrosia, nackt, frontal stehend,, Kopf n. r., hält in beiden Händen
Weinreben, ihre Füße wachsen aus der Erde
Ref.: RPC IX, 1949 (es gibt mehrere leichte Variationen der Rev.-Abildung, hier z.B. die
Weintrauben unterhalb den Ellbogen)
Die Hyaden
Die Hyaden, von griech.
Hyades (= "die es regnen lassen"), waren Nymphen der griechischen Mythologie, die bereits von Homer in der Ilias erwähnt wurden. Als Sternbild finden sich die Hyaden als V-förmiger Sternhaufen im Sternbild des Stiers. Der größte Stern unter ihnen ist links unten der Aldebaran.
Über ihre Anzahl und ihre Abstammung gab es in der Antike bereits unterschiedliche Ansichten. Bei Hesiod waren es fünf. Nach Hygin soll die Okeanide Pleione (oder Aithra) dem Atlas 12 Töchter und den Sohn Hyas geboren haben. Als dieser auf der Jagd getötet wurde, versetzte Zeus sieben von ihnen als Plejaden an den Sternenhimmel, die anderen fünf, die besonders um ihn geweint hatten, als Hyaden.
Pherekydes kennt sieben: Ambrosia, Eudora, Pedile, Koronis, Polyxo, Phyto und Thyone. Ihre Mutter sei Boiotia gewesen. Unter ihnen findet sich jetzt unsere Ambrosia. Sie kümmerten sich um Dionysos in seiner Kindheit und ihre Rolle war wohl parallel gedacht zur Rolle der Nymphen Adrasteia und Ide, die auf Kreta den kleinen Zeus aufzogen und bewachten.
Die Nymphe Ambrosia
Beim Beschreiben der Münze schreibt Barclay Head zum Revers "
Mänade(?)" und tatsächlich fehlt zur sicheren Bestimmung ein Hinweis auf das schreckliche Schicksal der Ambrosia, das auf der Münze nicht abgebildet ist. Trotzdem übernehme ich hier die Beschreibung aus RPC IX, 1949, was auch Leu Numismatik gemacht hat. Daß die Beine der Nymphe aus der Erde hervorwachsen, ist sehr ungewöhnlich und könnte ein Hinweis auf
Gaia sein, die in der Erzählung von Nonnos eine nicht unbedeutende Rolle spielt.
Auch bei Ambrosia, von griech.
"ambrosia" (= "unsterblich", mit Betonung auf dem i(!), gibt es unterschiedliche Genealogien. Bei Hygin war sie die Tochter der Pleione und des Atlas. Sie wurde eine
dodonäische Nymphe und eine Amme des Dionysos. Bei Nonnos wurde sie zur Wegbegleiterin des Weingottes Dionysos, zu einer Mänade.
Die eindrücklichste Schilderung ihres Schicksals findet sich bei Nonnos (
Dionysiaka, Lib. 21). Diese Ereignisse fanden statt, nachdem Dionysos auf seinem Zug nach Osten Thrakien durchzogen hatte oder bei seiner Rückkehr aus Indien.
Lykurgos, König von Thrakien
Lykurgos tritt in allen Mythologien als fanatischer Gegner des Dionysos auf. Meistens wird mit Lykurgos der mythische König der Edoner in Thrakien bezeichnet. Als Dionysos von Asien über den Hellespont wieder zurück nach Europa gehen wollte, bot ihm Lykurgos seine Freundschaft an. Als Dionysos aber zuerst seine Mänaden übersetzte, befahl Lykurgus, sie alle mitsamt Dionysos zu töten. Dionysos aber wurde von einem Mann names Tharops gewarnt und konnte gerade noch auf die andere Seite des Hellespont entkommen. Seine Begleiterinnen, die Mänaden, wurden alle auf Befehl des Lykurgus getötet. Hier taucht bereits der Name Ambrosia auf. Nachdem Dionysos mit seinem Heer übergesetzt war, kam es zu einer Schlacht, in der Lykurgos besiegt und gefangen genommen wurde. Dionysos ließ ihm die Augen ausstechen und ans Kreuz schlagen. Sein Reich übergab er dem Tharops (Diodorus Siculus).
In einer anderen Version wird erzählt, daß Lykurgus den Dionysos verhöhnte und endlich fortjagte, seine Begleiterinnen und Begleiter aber gefangen nahm. Da schlug Dionysos den Lykurgus mit Wahnsinn, so daß er seinen Sohn Dryas für einen Weinstock hielt, ihn mit einer Axt niederschlug und sich selbst die Füße abschlug, bis er wieder zu Verstand kam. Über sein Land sei dann eine große Unfruchtbarkeit gekommen und das Orakel habe geantwortet, diese würde erst enden, wenn Lykurgus seine Sterblichkeit abgelegt hätte. Da führten die Edonen ihn auf den Berg Pangaios und ließen ihn durch Pferde zerreissen (Apollodor).
Andere erzählen, daß er Dionysos nicht als Gott anerkennen wollte, und als er trunken von Wein seine eigne Mutter vergewaltigen wollte, so habe er den Wein für ein Gift gehalten, und befohlen, alle Weinstöcke wieder auszureissen. Da habe Dionysos ihn wahnsinnig gemacht, so daß er seine Frau und seinen Sohn erschlagen habe und sich selbst einen Fuß, den er für einen Weinstock hielt, abgehauen hätte (Hygin. Fab.).
Es gibt noch weitere Versionen von seinem Ende. Aber auch wenn Dionysos am Anfang immer vor ihm fliehen mußte, so konnte er ihn nachher doch gefangen nehmen. Er ließ ihn binden und mit Weinreben so heftig geißeln, daß Lykurgos Tränen vergießen mußte. Diese fielen zu Boden und aus ihnen erwuchs Kohl. Dieser ist noch heute ein Feind der Weinreben.(Schol. Aristoph. in Equis.)
In der ältesten Geschichte (Homer, Ilias) verfolgte er die Ammen des kleinen Dionysos auf dem Berg
Nysa. Diese warfen ihre Thyrsen zu Boden, während Lykurgus sie mit seinem Beile verwundete. Der kleine Dionysos stürzte sich ins Meer, wo ihn Thetis aufnahm und tröstete. Die Götter erzürnten sich über die Untat und schlugen Lykurgos mit Blindheit. Kurz darauf starb er.
Von Aischylos gab es eine Tragödie über ihn, die aber nicht erhalten ist.
Bereits Diodoros, der von der Schlacht zwischen Lykurgos und Dionysos berichtet, gibt an, daß
Antimachos diese Schlacht nach Arabien verlegt hat. Dies nahm Nonnos in seinem umfangreichen Werk "Dionysiaka" auf. Er erzählt:
Auf seinem Zug nach Indien gelangte das Heer über Tyros, Byblos und den Libanon nach Arabien. Dort herrschte ein Sohn des Ares, der schreckliche Lykurgos, der alle Fremden und Wanderer erschlug, schlachtete und mit ihren Gliedmaßen seinen Palast schmückte. Lykurgos verfolgte die Begleiterinnen des Dionysos, die hier
Bassariden genannt werden (nach griech. "
Bassaris" = "Fuchsfell", das sie wie die
Nebris, das Rehfell, trugen) und nahm den Kampf gegen sie auf. Insbesondere die Mänade Ambrosia, eine der Hyaden, widersetzte sich ihm tapfer; fast schon überwunden, wurde sie von
Gaia, der Mutter Erde, in eine Weinrebe verwandelt. Mit ihren Ranken umschlang sie unlösbar den Lykurgos, und da ihr durch Rheias Gnade die menschliche Rede bewahrt blieb, redete sie den Gegner höhnisch an. Ares konnte seinen Sohn nicht befreien, entwendete ihm aber wenigstens das göttliche Schlachtbeil. Die Mänaden umringten den gefesselten Gegner und geißelten ihn grausam. Auf Bitten Rheias erregte Poseidon ein Erdbeben in Arabien. Gleichzeitig befiel die Bewohnerinnen Arabiens, die "
Nysäerinnen", ein Wahnsinn, so daß sie ihre eigenen Kinder töteten und schlachteten. Der mißhandelte Lykurgos beugte sich dem Dionysos nicht, sondern verharrte bei seinem Trotz gegen alle Götter. Endlich erbarmte sich Hera seiner, zerschnitt die Ranken der Ambrosia und befreite so Lykurgos. Dieser wurde später von Zeus geblendet, aber von den Arabern mit Opfern als Gott verehrt. Ambrosia aber stieg auf von der Erde in den Himmel und wurde ins Sternbild der Hyaden versetzt.
Dies wäre ein schönes Thema für die „Metamorphosen“ des Ovid gewesen, aber Nonnos lebte fast 500 Jahre nach Ovid!
Und jetzt wird auch geographisch verständlich, daß dieses Motiv mit der Ambrosia gerade auf Münzen aus Damaskus geprägt wurde. Sonst kommt Damaskus nur noch einmal vor: Beim Zug nach Indien stellte sich ihm am Euphrat der König von Damaskus entgegen. Er wurde bei lebendigem Leibe geschunden (Ranke-Graves). Darüber aber habe ich nichts genaueres erfahren können.
Kunstgeschichte:
Das Motiv der Ambrosia ist in der antiken Kunst mehrmals aufgenommen worden. Ausgesucht habe ich folgende Darstellungen:
(1) Dieses Bild stammt von einer apulischen rot-figurigen Vase aus der Spätklassischen Periode, ca. 330 v. Chr., und befindet sich heute in der Staatl. Antikensammlung, München.
König Lycurgus hält den Leichnam der Ambrosia, die er gerade mit seinem Schwert erschlagen hat. Der zornige Gott ruft eine Erinnye herbei, die ihn wahnsinnig machen soll. Die Erinnye ist dargestellt als geflügelte Jägerin, deren Arme und Haare mit Giftschlangen drapiert sind. Dionysos trägt eine aufwendig gestaltete Kleidung mit hohen Stiefeln und hält einen Baumzweig in der Hand. Hinter ihm sieht man noch den Thyrsos einer Mänade.
Auf dieser Vase finden sich nicht die Weinranken, die auf unserer Münze vorhanden und so typisch für die Nonnos-Erzählung sind.
(2) Das oben abgebildete Mosaik wurde in Herculaneum gefunden und befindet sich heute im Archäologischen Nationalmuseum in Neapel. Es zeigt den König von Thrakien, Lycurgus, den Feind des Dionysos, der die Nymphe Ambrosia angreift. Diese verwandelt sich gerade in eine Weinrebe und bindet Lycurgus mit ihren Trieben, um ihn der Rache des Dionysos auszuliefern. Sie scheint aus der Erde zu wachsen, was die Darstellung auf unserer Münze widerspiegelt. Zu dieser Zeit ist also die Version, die Nonnos später übernommen hat, schon bekannt!
Ambrosia, die Speise der Götter
Wir wissen bereits, daß Ambrosia im Griechischen "unsterblich" bedeutet. Und so war Ambrosia die Speise, die den Unsterblichen vorbehalten war. Wer von ihr aß, wurde selbst unsterblich. Dies geschah z. B. dem Tantalos, und Thetis salbte ihren Sohn Achilles mit Ambrosia, um ihn unsterblich zu machen.
Der Erste, der Ambrosia erhielt, war Zeus, dem es durch wilde Tauben von den Bergspitzen Kretas gebracht wurde. Bei Homer sind die Begriffe "Ambrosia" und "Nektar" noch austauschbar. Später bezeichnete man mit Ambrosia eine Speise und mit Nektar etwas zum Trinken.
Ambrosia wurde benutzt als Speise, Trank, Balsam, Salbe und als Heilmittel. Es war berühmt für seinen Wohlgeruch und hätte süß geschmeckt. Rationalisten hielten es für Honig, z. B. Roscher: “Das paßt wunderbar zum Honig, der auch als Göttergabe aufgefaßt wurde.” Die Nymphe Ambrosia wäre dann die Personifikation des Honigtaus gewesen.
Mit Ambrosia wurden auch die unsterblichen Pferde gefüttert. Daraus wurde auch schon mal umgekehrt gefolgert: Da die Pferde üblicherweise mit Hafer gefüttert werden, könnte Ambrosia einfach Haferbrei gewesen sein!
Die Vorstellung von Nektar und Ambrosia bedient den menschlichen Wunsch nach Unsterblichkeit, der schon früh in allen Kulturen vorhanden ist, und nach einem Zaubermittel, um sie zu erreichen. Das ist heute, wo das Altern als Krankheit betrachtet wird, wieder groß im Schwange, was man an den Milliarden sieht, die für Anti-Aging-Produkte ausgegeben werden. Hinter dem Wunsch nach dem ewigen Leben wird allerdings zu oft das gegenwärtige vergessen.
Ambrosia, ein allergener Neophyt
Als Hobby-Botaniker möchte ich am Schluß noch das
Beifuß-Traubenkraut (Ambrosia artemisiifolia), kurz Ambrosia, erwähnen.
Dies ist ein invasiver Neophyt und stammt aus dem Mittelmeerraum. Bekannt in Deutschland ist es seit 1860, war als Ackerunkraut aber immer an den Menschen gebunden. Seit den 1990er Jahren begann es sich aus eigener Kraft zu verbreiten und ist inzwischen zu einer großen Gefahr geworden. Typisch sind die starke Verzweigung und die hohen Blütenstände. Seine Pollen besitzen eine starke Allergenität, die 5x höher ist als die von Graspollen. Wahrlich keine Götterspeise!
Anmerkungen:
(1)
Pherekydes von Syros (* zwischen 584 und 581 v. Chr. auf der Insel Syros, einer der Kykladen) war ein antiker griechischer Mythograph und Kosmologe in der Zeit der Vorsokratiker. .
(2)
Nonnos von Panopolis war ein byzantinischer Dichter des 5. Jhdts. Er gilt als Verfasser der Dionysiaka, des letzten großen Epos der Antike. Darin wird in 48 Büchern bzw. Gesängen und ca. 21.300 Hexametern des Siegeszug des Dionysos nach Indien geschildert..
(3)
Dodona war ein antikes griechisches Heiligtum und Orakel. Es galt als ältestes Orakel Griechenlands und war nach Delphi das größte überregionale Orakel der griechischen Welt. Aus dem Rauschen einer dem Zeus heiligen Eiche wurde geweissagt, Später wurde auch aus dem Flug von Tauben gedeutet.
(4)
Antimachos von Kolophon war ein griechischer Dichter und Grammatiker, der um 450 v. Chr. gelebt hat. Er gilt als einer der Begründer des Epos.
(5)
Nysa gilt als der Ort, an dem Dionysos von Nymphen aufgezogen und genährt wurde. Dabei handelt es sich wohl nur um ein Phantasiegebilde. Später wurden die verschiedensten Orte als Nysa bezeichnet. Nonnos verlegt Nysa nach Arabien.
(6) Als
Neophyt bezeichnet man Pflanzen, die sich erst nach 1492 in Europa einbürgerten. Invasiv ist ein Neophyt, wenn er sich unkontrolliert ausbreitet.
Quellen:
(1) Homer, Ilias
(2) Apollodor, Bibliotheka
(3) Hyginus, Fabulae, De astronomia
(4) Nonnos, Dionysiaka
Sekundärliteratur:
(1) Heinrich-Wilhelm Roscher, Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, 1884
(2) Benjamin Hederich, Gründliches mythologisches Lexikon, 1770 (Nachdruck)
(3) Barclay Head, Historia Numorum (online Version von Ed Snible)
(4) Der Kleine Pauly
Internetquellen:
(1) Wikipedia
(2) theoi.com
(3) RPC IX
Freundliche Grüße
Jochen
Omnes vulnerant, ultima necat.