Athena auf der Flucht?

Alles was so unter den Römern geprägt wurde.

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Peter43
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Athena auf der Flucht?

Beitrag von Peter43 » Mi 22.07.09 18:05

Hallo!

Hier möchte ich euch eine Münze vorstellen, deren Interpretation mir Schwierigkeit macht:

Thracien, Hadrianopolis, Gordian III., 238-244
AE 26, 9.71g
Av.: [AVT KM] ANT - GORDIANOC AVG (VG ligate)
Büste, drapiert und cürassiert, belorbbert, n.r.
Rv.: ADR[IANO]PO - LEITWN
Athena, in langer Kleidung und mit korinthischem Helm, n.r. eilend
aber zurückblickend, hält Schild, von innen gesehen, mit linkem
Unterarm und Speer mit der Spitze nach oben in der li Hand; mit der
re Hand zeigt sie vorwärts(?); re vor ihr schlängelt sich eine
Schlange aufrecht n.r.
Ref.: Varbanov (engl.) 3992; Jurukova 639
selten, SS, braun-grüne Patina, teilweise Prägeschwäche

Meine Frage: Warum eilt Athena zwar n.r., blickt aber über ihre re Schulter zurück, als werde sie verfolgt? Wer verfolgt sie? Wo und unter welchen Umständen kann dies geschehen sein? Ich selbst habe mythologisch nichts gefunden. Irgendjemand, der mir diese Darstellung erklären kann?

Jede Meinung ist herzlich willkommen!
Jochen
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Lemur
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Beitrag von Lemur » Mi 22.07.09 18:25

Ich spekuliere mal wild umher:
In der epigraphischen Tradition werden diese Darstellungen als xy eilt nach links/rechts angesprochen.
Lasse ich dieses Denkmuster nun bewußt außen vor so sehe ich Athena welche sich ihre Waffen fassend gerade nach links(hinten)wendet.Die Stellung der Beine könnte dazu passen.
Somit könnte Athena sich hier also gewappnet einem Etwas zuwenden welches aus dieser Richtung(hinten?)auf sie zutritt.
Hübsches Stück übrigens.
...das ganze Mee`volle`´öme`.

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Beitrag von dionysus » Mi 22.07.09 18:53

Könnte sie nicht auch jemanden zum Folgen auffordern wollen?
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Beitrag von emieg1 » Mi 22.07.09 18:56

Muss denn eigentlich eine Erklärung "mythologisch" findbar sein oder könnte es sich nicht einfach auch nur um eine "Willkür" des Stempelschneiders handeln?

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Beitrag von beachcomber » Mi 22.07.09 19:42

Könnte sie nicht auch jemanden zum Folgen auffordern wollen?
ich denke auch sie stürmt voran, und schaut ob ihr auch alle folgen :)
grüsse
frank

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Beitrag von quisquam » Mi 22.07.09 20:02

Sieht so aus, aber wer soll ihr wohl folgen? Könnte die Schlange ein Hinweis geben, auf welche mythologische Begebenheit hier eventuell angespielt wird?
Eigentlich sammle ich nicht Münzen, sondern das Wissen darüber.

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Beitrag von Peter43 » Mi 22.07.09 22:59

Die Schlange ist mit Sicherheit eine Anspielung auf Erichthonios. Mit der wird Athena häufig zusammen dargestellt.

Diese Münze ist schon mal im amerikanischen Forum diskutiert worden, allerdings ohne zu einem übereinstimmenden Urteil zu kommen. Bemerkt wurde z.B. daß Athenas re Hand nicht den Speer umfaßt, sondern vielleicht nach vorne deutet. Dann gäbe es eine Übereinstimmung mit der üblichen Darstellung eines Städtegründers, der nach vorne zeigt und sich nach hinten umdreht nach seinen Kameraden, mit denen er die neue Kolonie gründen will.

Diskutiert wurde auch die Meinung, daß es sich um eine Momentaufnahme aus der Gigantenschlacht handeln könne. Da gibt es die berühmte Darstellung, in der Athena mit dem Speer auf einen schlangenfüßigen Giganten re vor ihr eindringt, der ein Stein auf sie schleudern will. Hat übrigens nichts mit dieser Schlange zu tun!

@nummi_durensis
Ich glaube nicht, daß die Stempelschneider in der Antike so willkürlich arbeiteten. Das scheint mir eine Übertragung von heutigen Vorstellungen auf die Antike zu sein, was nicht erlaubt ist. Ich bereite gerade einen neuen Artikel für den Mythologiethread vor. Dabei habe ich gelernt, wie schwierig es damals war, sich von üblichen Darstellungen zu trennen. Das konnte Jahrhunderte dauern! Z.B. ist es typisch für den archaischen Stil, die Beine von Standbildern parallel mit durchgedrückten Knien darzustellen. Schon der vorgestellte Fuß mit durchgedrückten Knien war ungewöhnlich. Die Erfindung des Kontraposts mit Stand- und Spielbein war eine Revolution, weil sie das äußere Zeichen für eine neue Auffassung von der Lebendigkeit und Selbstbestimmung des Menschen war, und die Klassik einläutete. So war es bereits etwas besonderes, zum erstenmal in einer Statue das Knie gebeugt zu zeigen!

Damals waren in der Regel die Darstellungen festgelegt. Sie bezogen sich auf bekannte Statuen oder lokale Denkmäler, bestimmte Ereignisse oder mythologische Szenen. Dabei blieb der dargestellte Typ über die Jahrhunderte ziemlich konstant. Man schaue sich nur die Abb. eines Tropaion an mit den beiden Gefangenen am Fuß. Auch Gottheiten mußten ziemlich konstant bleiben, damit die Betrachter sie erkennen konnten. Deshalb die Attribute! So hat Athena eben immer einen korinthischen Helm, obwohl es den damals schon lange nicht gab, Speer und Schild und oft noch die Schlange oder eine Eule, um nur einige zu erwähnen.

Mit freundlichem Gruß
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Beitrag von cepasaccus » Do 23.07.09 08:58

Die Konstanz zeigt sich bei Fresken auch bei nicht-mythologischen Themen. Der Grund dafuer koennen eigentlich nur sowas wie Musterbuecher gewesen sein an die sich die Maler nach bestem Koennen unter den gegebenen Bedingungen gehalten haben. Es koennte durchaus sein, dass auch ein Stempelschneider sich ein Motiv daraus herausgepickt hat.

vale
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Beitrag von chinamul » Do 23.07.09 12:22

Athena hat die Linke bis über das Handgelenk durch die Halteschlaufe des Schildes geschoben und hält in der dadurch freigewordenen Hand den Speer. Die Rechte hingegen scheint eine Art winkende oder weisende Geste zu vollziehen, so daß der Gedanke nicht ganz abwegig erscheint, daß diese Darstellung tatsächlich aus einem größeren Kontext herausgelöst wurde.
Interessant ist die Münze daher allemal!

Gruß

chinamul
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Beitrag von Peter43 » Do 23.07.09 12:48

Zu den Musterbüchern habe ich ein schönes Beispiel, das ich schon mal im Forum vorgestellt hatte.

1. Münze:
Moesia inferior, Markianopolis, Macrinus & Diadumenian, 217-218
AE - AE 27 (Pentassarion), 13.58g
geprägt unter dem Statthalter Furius Pontianus
Av.: AV K OPPEL CEVH MAKREINOC / KM OPPEL AN - TWNINOC DI / ADOVMHN
Die sich gegenüberstehenden Büsten des Diadumenianus, bloßer Kopf n.r., und des
Macrinus, belorbeert, n.l.
Rv.: VP PONTIAN - OV MARKIAN / OPOLITWN
Weibliche Figur, in langem gegürtetem Chiton, Haare hinten in Knoten, sitzt auf Felsen
n.l., hält in der ausgestreckten re Hand Zweige mit Blättern (oder Blumen?), lehnt mit
dem li Arm auf Felsquelle(?) aus der Wasser n.l. strömt; re unten ein Hase(!) n.r.
Ref.: AMNG I/1, 755 (nur ein Ex. in Bukarest, Hase nicht erwähnt!)
sehr selten, SS/VZ, das schönste bisher bekannte Ex.!

Nach Seguin, Selecta Numismatica Antiqua, Paris 1665, handelt es sich bei der dargestellten Figur um die Nymphe Rhodope, eine Tochter des Flußgotts Strymon. Interessant für unsere Diskussion ist das Auftreten des Hasen re unten. Im Zusammenhang mit Moesien ist er singulär und völlig sinnlos.

Der Typ erinnert aber stark an Personifikationen der Provinzen von Hadrians berühmten Münzen, insbesondere die HISPANIA, auf der auch Hasen zu sehen sind. Wahrscheinlich handelt es sich aber eher um Kaninchen, für die Spanien berühmt war. Sie sollen sogar die Innenstädte untergraben haben (Plinius).
Warum nun der Hase (oder besser: das Kaninchen) auf die Münze von Markianopolis gekommen ist, ist nicht ganz klar. Eine plausible Erklärung wäre, daß die Stempelschneider einen Vorrat von Modellen parat hatten, und das hier HISPANIA als Vorbild genommen wurde, ohne den wahren Sinn des Kaninchens - als Symbol für Spanien - zu erkennen.

Ursprünglich nämlich waren Kaninchen in Spanien und Nordafrika beheimatet. In Spanien wurden sie um 1100 vor Christus von den Phöniziern entdeckt. Diese hielten sie irrtümlich für sogenannte Klippschliefer, einer äußerlich dem Murmeltier ähnlichen Tierart (aber mit den Elefanten verwandt!), die bei ihnen 'Shaban' hießen und gaben Spanien deshalb den Namen "Ishapan" (dt. "Küste der Klippschliefer"). Als die Römer die iberische Halbinsel besetzten, benannten sie "Ishapan" in "Hispania" um, und aus diesem Wort entwickelte sich schließlich "Espania", das heutige 'Spanien'. Genaugenommen war Spanien also eigentlich die "Küste der Kaninchen".

Zum Vergleich die 2. Münze:
Hadrian, 117-138
AR - Denar, 3.48g
Rom, ca.132
Av.: HADRIANVS - AVG COS III PP
Bloßer Kopf n.r.
Rv.: HISPANIA
Hispania, drapiert, lehnt n.l., hält in der erhobenen re. Hand
Olivenzweig und stützt den li. Arm auf Felsen; re unten Kaninchen n.r.
Ref.: RIC II, 306; C. 834; BMCR 849 var. (Büste belorbeert)

Mit freundlichem Gruß
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markianopolis_macrinus&diadum_AMNG755.jpg
hadrian_306.jpg
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Beitrag von cepasaccus » Do 23.07.09 14:15

Peter, danke fuer die Erklaerung zur Kaninchenkueste.
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Beitrag von hidef » Do 30.07.09 13:33

Toll!!!

von solchen Erklärungen hätte ich gerne mehr...plötzlich hat mein Hadrian eine ganz neue Geschichte :-)

Danke
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Beitrag von chinamul » Do 30.07.09 13:51

Auch mich hat dieses cuniculogische Privatissimum sehr interessiert.
Danke dafür!

Gruß

chinamul
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