Den einen Spitzenreiter gibt es bei mir diesmal wieder nicht (gibt es ja eigentlich nie), daher will ich diese drei vorstellen:
Am meisten gefreut habe ich mich in diesem Jahr wohl über die Vervollständigung der Elektronserie des Swastika-Typs (so werden die meist genannt) aus Ionien.
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Av: Swastika-Muster
Rv: viergeteiltes Quadratum Incusum
Referenzen sind Traité II-1,S. 83, 99-100, BMC 48, SNG France Delepierre 2697
Ich hab' nun von der Hekte bis zum 1/96-Stater alle Nominale, zusätzlich auch noch einen 1/12 und einen 1/48 Stater aus Silber

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Von diesen Elektronmünzen gibt es Exemplare, bei denen sich die Swastika (wenn es denn eine solche sein sollte) nach links, und welche, auf denen sie sich nach rechts dreht. Da diese Münzen insgesamt nicht sonderlich sorgfältig hergestellt wurden (und bei Licht betrachtet auch keine besonderen Schönheiten sind

), gibt es auch Exemplare, bei denen sich diese Drehrichtung gar nicht mit Sicherheit bestimmen lässt. Bei meinem 1/12 Stater (die zweitgrößte) ist das beispielsweise der Fall.
Diese Münzserie ist seit langem bekannt, bereits 1901 wurden im Traité von Ernest Babelon Münzen davon beschrieben (Band II-1, Seite 83, Nummern 99 und 100). Auch in vielen Sammlungskatalogen ist dieser Münztyp vertreten (z.B. BMC 48, SNG France Delepierre 2697, Sammlung Rosen 319, SNG Kayhan 702-703).
Die Datierungen gehen etwas auseinander, das reicht von einem allgemeinen "siebtes bis sechstes Jahrhundert" bis zu einem genaueren "600-550".
In P. T. Keyser und D. D. Clark, "Analyzing and Interpreting the Metallurgy of Early Electrum Coins", in M. S. Balmuth (Ed.), "Hacksilber to Coinage: New Insights into the Monetary History of the Near East and Greece", New York 2001, S. 105-126, wird unter anderen auch eine Münze des Swastika-Typs metallurgisch untersucht:
https://www.academia.edu/7543916/Analyz ... _D_D_Clark_
Als Zusammensetzung ergab sich, je nach Messverfahren, etwa 74% Gold, 24% Silber und 2% Kupfer sowie 61% Gold und 37% Silber. Man geht inzwischen auch davon aus, dass diese frühen Elektronmünzen in ihrer Legierung nicht dem Fundzustand von Flussgold aus dem Paktolos in Lydien entsprechen, sondern dass Kupfer absichtlich zugemischt wurde.
In Peter van Alfen und Ute Wartenberg (Hrsg.), "White Gold: Studies in Early Electrum Coinage", New York, Jerusalem 2020, wird in mehreren Artikeln der Forschungsstand zur frühen Elektronprägung dargestellt. Im Artikel von Kerschner und Konuk, "Electrum Coins and Their Archaeological Context: The Case of the Artemision of Ephesus" werden insbesondere die Funde im Artemision im Detail besprochen:
https://www.academia.edu/41653289/Elect ... of_Ephesus
Der Münztyp hier ist bei Kerschner und Konuk die Nummer 99, ein 1/48 Stater, als Legierungszusammensetzung wird Au 83.2%, Ag 15.7%, Cu 1.2% angegeben.
Da man auch an meinen Münzen leichte Unterschiede im Farbton erkennen kann, sind die unterschiedlichen Messergebnisse der Metallzusammensetzung durchaus plausibel.
Die Varianten aus Silber scheinen erst in den letzten Jahren auf dem Markt aufgetaucht zu sein, Literatur dazu hab' ich fast keine gefunden

. Einzig in Wolfgang Fischer-Bossert, "Ephesus Switching from Electrum to Silver", in M. Nollé, P. M. Rothenhöfer, G. Schmied-Kowarzik, H. Schwarz, und H. Ch. von Mosch (Hrsg), "Panegyrikoi Logoi. Festschrift für Johannes Nollé zum 65. Geburtstag", Bonn 2019, S. 157-171, wird auf Seite 160 unten und in Fußnote 22 explizit auf diese hingewiesen, eine weitere Einordnung (Datierung, Metrologie) findet nicht statt:
https://www.academia.edu/39458500/Ephes ... pp_157_171
Fischer-Bossert datiert dabei die Swastika-Serie aus Elektron mit "has recently been dated to the second quarter of the sixth century", was mir die Ausführungen von Kerschner und Konuk 2020 aber nicht herzugeben scheinen

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Diese Serie ist also noch nicht "ausgeforscht" und birgt noch einige Rätsel, da kann man also noch gespannt sein

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Eine weitere Münze, die ich dieses Jahr
besonders interessant fand, ist diese aus Parlais in Pisidien:
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Av: Kopf der Artemis nach rechts mit Köcher und Bogen über der Schulter
Rv: Schiff mit Steuermann und zwei Ruderern nach rechts
15 mm, 2,79 g, Referenzen sind KM S. 420, 3, SNG France 1672-73
(Nichts dazugelernt scheine ich dieses Jahr beim Fotografieren zu haben

. Die Münze ist nun nicht gerade exzellent erhalten, aber ganz so fleckig wie hier ist sie tatsächlich nicht.)
Die Münzen aus Parlais werden beschrieben in Hans von Aulock, "Kleinasiatische Münzstätten", JNG 23, 1973, 7-18:
https://www.bngev.de/wp-content/uploads ... o,-281,652
Es gibt aus Parlais wenige autonome Münzen aus dem ersten Jahrhundert v. Chr. und dann erst wieder im zweiten Jahrhundert n. Chr. römische Provinzialmünzen. Die Münze hier gehört in die autonome Zeit im ersten Jahrhundert v. Chr.
Zunächst hat mir einfach das Motiv mit dem Schiff gefallen, erst bei näherer Betrachtung ist mir aufgefallen, dass Pisidien ja gar keinen direkten Zugang zum Meer besitzt

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Bei van Aulock wird aber erwähnt, dass Louis Robert Parlais bei der heutigen Ortschaft Barla am Eğirdir-See liegt, von dem ich noch nie gehört hatte. Dieser See (
https://de.wikipedia.org/wiki/E%C4%9Fir ... %B6l%C3%BC) ist von der Fläche her etwa in der Größenordnung des Bodensees (wenn man den Untersee weglässt sogar ziemlich genau so groß). Das Schiff mit Steuermann und zwei Ruderern wird also eher ein ziviles denn ein militärisches gewesen sein.
In Stéphane Lebreton, "Quelques remarques à propos de la navigation sur les fleuves et les lacs anatoliens", Dialogues d'histoire ancienne 38/2, 2012, S. 188-206:
https://www.persee.fr/doc/dha_0755-7256 ... _38_2_3448
wird ein wenig auf die Schifffahrt auf dem Eğirdir-See eingegangen. Es wird vermutet, dass es von Parlais aus eine Art Fährverkehr ans Ostufer gab, um den Weg von Westen her nach Antiochia in Pisidien abzukürzen, das etwa nordöstlich des Sees liegt. Damit konnte man den Landweg um den See herum vermeiden und Zeit und Mühen sparen. Darauf spielt das Schiff auf der Münze hier wohl an.
Zum Typ dieses anscheinend segellosen Schiffs wird aber nichts weiter gesagt, auch für den Aufbau am Bug gibt es keine Erklärung. Mehr dazu hab' ich leider auch nicht gefunden

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Eine Art
vergessenen Münztyp hatte ich mit dieser Münze vor mir:
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Av: Kopf ses Helios von vorn
Rv: Pferdebüste nach rechts, darunter KI
11 mm, 0,82 g, Referenz ist Monnaies Grècques S. 396, 82
Beschrieben war dieser Typ als "Asia Minor uncertain" und "Probably unpublished", Referenzen waren auch keine angegeben, was mein Interesse dann sofort angestachelt hat

. Auf einem gleichzeitig versteigerten Exemplar konnte man dann unter dem Pferdekopf auch noch die Buchstaben KI ausmachen (Reste davon erkennt man auf meiner Münze bei genauer Betrachtung auch noch).
Es hat dann ein gutes Stück Sucherei erfordert, um eine Spur dieses Münztyps zu finden.
Die erste Erwähnung fand ich dann in Friedrich Imhoof-Blumer, "Choix de monnaies grecques du cabinet de F. Imhoof-Blumer", Winterthur 1871, dort wird dieser Münztyp auf Tafel V als Nummer 188 als Zeichnung abgebildet:
https://www.digitale-sammlungen.de/de/v ... 06?page=19
Das Buch ist allerdings nur eine Sammlung von Tafeln, mehr als "Cibyra Phrygiae" findet sich als Beschreibung zu dieser Münze dort nicht

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In "Monnaies Grecques", Paris Leipzig 1883, beschreibt I-B diesen Typ dann auf Seite 396 unter Nummer 82. Als Größe gibt er 14 mm an, als Gewicht 1,5 g, also deutlich größer und schwerer als die Münze hier, eventuell ein größeres Nominal:
https://archive.org/details/monnaiesgre ... 6/mode/2up
Danach gibt es noch eher summarische Erwähnungen, wie beispielsweise in Barkley F. Head, "Historia Numorum", London 1911, Seite 669. Da steht aber nur, dass es aus Kibyra auch einen Typ mit Helioskopf auf dem Avers und Pferdebüste auf dem Revers gibt, mehr nicht

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Und dann scheint dieser Münztyp vom numismatischen Radar völlig zu verschwinden

, ich hab' keine weitere Erwähnung mehr gefunden (vielleicht liegt die Münze von I-B in der Sammlung in Winterthur, da hab' ich aber keine Literatur dazu). Häufig scheinen diese Münzen also nicht zu sein, aber dass man über hundert Jahre lang so gar nichts mehr davon hört, hat mich dann schon erstaunt

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Gruß
Altamura